NS-Vergangenheiten der documenta-Akteur*innen
Zu den Gründungsfiguren der documenta zählt auch August-Martin Euler, ohne dass er auf der Vorderbühne der Ausstellung von 1955 präsent gewesen ist. Euler wurde 1908 in Kassel geboren. Seit Kriegsbeginn war er Jurist bei der IG Farben, wo er unter anderem in die Ausbeutung von Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlingen involviert war. 1944 etwa trug er den Buna-Werken in Schkopau den „Einsatz ungarischer Juden“ als Arbeitskräfte an. Dabei war Euler weder Mitglied der NSDAP, noch gehörte er zur SA oder der SS. Nach dem Krieg wurde er als Nichtbetroffener entnazifiziert und begann eine steile politische Karriere. Als Landesvorsitzender der hessischen FDP bot er vielen ehemaligen NSDAP-Mitgliedern eine neue politische Heimat und suchte die Nähe zu rechtsextremen Organisationen. Auch verteidigte er in der sogenannten Naumann-Affäre ehemalige Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher, die versucht hatten, die FDP zu unterwandern. Gleichzeitig setzte er sich im Bundestag für die Verabschiedung mehrerer Amnestiegesetze für nationalsozialistische Täter*innen ein.
In diesen Jahren wurde Euler in die Vorbereitungen der ersten documenta einbezogen. Viele der beteiligten Personen kannte er privat. Der Vorsitzende des ersten Trägervereins, Heinz Lemke, hatte in Eulers Entnazifizierungsverfahren sogar für ihn ausgesagt. Eulers politische Positionen waren sicher bekannt. Aber Arnold Bode schien sich, wie alle anderen, nicht daran gestört zu haben. Denn Euler war für das Unternehmen documenta wichtig: Er öffnete im politischen Bonn viele Türen. Er war es auch, der Bundespräsident Theodor Heuss davon überzeugte, die Schirmherrschaft für die Ausstellung zu übernehmen.
Warum sich also mit einer scheinbaren Randfigur auf der Hinterbühne der documenta beschäftigen? An Euler zeigt sich, dass die Geschichte der documenta mehr ist als die Geschichte einer Kunstausstellung. Sie hat sich in die Kultur- und Politikgeschichte der Bundesrepublik eingeschrieben. Für Männer wie Euler handelte es sich von Anfang auch um ein politisches Projekt mit einer vergangenheitspolitischen Agenda. Er zielte darauf ab, ehemalige Nationalsozialisten in alle Bereiche der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu integrieren und ihre Verbrechen vergessen zu machen.