Review: Gwangju Biennale

05 / 2025

Im Rahmen eines Forschungsprojektes des documenta Instituts mit der Gwangju Biennale waren Prof. Mi You und Dr. Maria Neumann im März 2025 drei Tage zu Gast in Gwangju/Südkorea. Gemeinsam mit Bella Jung, Jiye Choi, Sooyoung Leam und  Lyungnam Yoo trafen sie Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen, die sich mit der Geschichte der Biennale und der Stadt Gwangju beschäftigen.


Gwangju gilt in Südkorea als die Stadt der Kunst. Abgelegen in einer strukturschwachen Region verfolgt die Regierung in Seoul seit den 1960er-Jahren die Idee, Gwangju als kulturelles Zentrum des Landes aufzubauen. 1995 fand die erste Gwangju-Biennale und damit die erste Biennale für zeitgenössische Kunst in Südostasien überhaupt statt. Zwanzig Jahre später eröffnete das Asia Culture Center (ACC). Das Zentrum hat es sich zum Ziel gesetzt, das kulturelle Erbe Asiens zu bewahren und den kulturellen Austausch zu fördern. Zudem ist Gwangju seit 2014 UNESCO Creative City of Media Arts. Die Regierung in Seoul ist außerdem bemüht die örtliche Kunst- und Kulturszene zu fördern. Dabei sind die Kompetenzbereiche der einzelnen Institutionen jedoch nicht klar abgesteckt, was zu Konflikten führt. So gibt es auch auf die Biennale eine künstlerische und eine politische Perspektive.

18. Mai 1980
Kunst und Kultur in Gwangju sind geprägt vom Erbe des 18. Mai 1980. An diesem Tag gingen Demonstrant*innen, vor allem Studierende, gegen die Militärregierung in Südkorea auf die Straße. Ihr Protest wurde blutig niedergeschlagen. Hunderte Menschen wurden ermordet, verletzt oder verschleppt und interniert. Die Symbole dieses Widerstands sind Waffen, Reisbällchen und Blut. Während die Waffen für den Kampf gegen die autoritäre Militärregierung stehen, erinnern die Reisbällchen an die Versorgung der Protestierenden durch die Frauen Gwangjus und das Blut an die Blutspenden der Einheimischen für verletzte Aufständische. In der Geschichte Südkoreas gilt der 18. Mai heute als Meilenstein für die Demokratiebewegung. Das Datum steht für universale Werte wie Frieden und Menschenrechte, auch wenn verschiedene Akteursgruppen um Deutungshoheiten ringen. Einer der wichtigsten Erinnerungsorte ist das Archiv des 18. Mai, ein Dokumentationszentrum und Museum. Die Fotos vom Aufstand, die dort gezeigt werden, gehören seit 2011 zum UNESCO-Weltkulturerbe.



Stadtgeschichte „Imperialismus und Kolonialismus“
Um die Entwicklung der Stadt und der Protestbewegung zu verstehen, muss man in der Stadtgeschichte weiter zurückgehen. Mehr als 40 Jahre stand Gwangju zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter japanischer Herrschaft. Kolonialismus und Imperialismus haben die Stadt und ihre Einwohner*innen stark geprägt. Praktiken des Protests wurden bereits unter japanischer Fremdherrschaft eingeübt. Damals erhoben sich Arbeiter*innen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken.

Erste Ergebnisse, künftige Szenarien
Die Geschichte der documenta in Kassel und der Biennale in Gwangju sind beide eng verbunden mit Diktaturerfahrungen und dem Kalten Krieg. Neben künstlerischen Interessen haben kulturpolitische Richtungsentscheidungen die Gründung und Institutionalisierung beider Ausstellungen beeinflusst. Damit verknüpft sind Fragen nach dem Zusammenhang zwischen den Institutionen, den dort gezeigten Kunstwerken und ihren historischen Orten. Sie bilden Ableitungen zur Vergangenheit, verbunden mit dem Versprechen auf Versöhnung, Selbstermächtigung oder einen Neuanfang und gleichzeitig der Sorge vor dem Vergessen. Beide Städte liegen zudem in strukturschwachen Regionen, weit entfernt von politischen, wirtschaftlichen und anderen kulturellen Zentren. Doch während sich die Stadtbevölkerung in Kassel heute überwiegend mit der documenta identifiziert, hegen viele Menschen in Gwangju weiterhin Skepsis gegenüber der Biennale. Sie sehen, dass die Biennale Südkorea repräsentiert, kritisieren aber, dass lokale Initiativen zu wenig eingebunden werden und befürchten, dass Gwangju als Ort der Demokratiebewegung an Bedeutung verlieren könnte.
Als mögliche Vergleichskategorien kristallisierten sich somit das politische Erbe der beiden Ausstellungen, ihre Gründungsgeschichten und die Beziehungen zwischen Stadt und Ausstellung heraus. Grundlage dafür ist eine multiperspektivische Herangehensweise, die die Linearität der Erzählungen aufbricht und die Gleichzeitigkeit teils widersprüchlicher Narrative akzeptiert.


Personen

Prof. Dr. Mi You
Professur „Kunst und Ökonomien“
Dr. Maria Neumann
Wissenschaftliche Mitarbeit