Nanne Buurman – Hegemonien des Heilens, or: documenta as a Haunted House

09 / 2022

In der Reihe Vergiftete Verhältnisse – Gespräche zur Gegenwartskunst redet Nanne Buurmann am 20. September um 18 Uhr an der Forschungsstation am Lutherplatz über die Hegemonien des Heilens.

In ihrem ersten Statement nach der Nominierung als künstlerische Leiter der documenta 15 im Jahr 2019 verkündeten ruangrupa: „Wenn die documenta 1955 ins Leben gerufen wurde, um Kriegswunden zu heilen, warum sollten wir uns dann nicht auf die Verletzungen von heute konzentrieren, vor allem auf die, die in Kolonialismus, Kapitalismus oder patriarchalen Strukturen wurzeln“, und beschworen damit die Idee der Ausstellung als Krankenschwester, die sich um die Wunden kümmert, die das jeweils herrschende System geschlagen hat. Mit Blick auf die etymologische Verbindung zwischen Kuratieren und Heilen ist der Begriff des Heilens seit der Pandemie im künstlerischen und kuratorischen Diskurs noch allgegenwärtiger geworden. Ausgehend von einem heuristischen Modell von Ausstellungen als Haushalte mit spezifischen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen und Machtverteilungen möchte ich den Begriff der Heilung verkomplizieren, indem ich die Aufmerksamkeit auf seine ambivalente Geschichte innerhalb der documenta und darüber hinaus lenke. Durch die Betrachtung der sozial re/produktiven Dimensionen des Kuratierens zielt die Präsentation darauf ab, allzu bequeme Auffassungen von Kuratieren/Pflege als etwas rein Gutes aufzubrechen und auch die dunkle Seite der Kura und ihrer Gouvernementalität zu beleuchten. Die Präsentation befasst sich daher mit der documenta als Spukhaus, das von den untoten Geistern der Vergangenheit heimgesucht wird, die nicht nur zwischen den Seiten der Geschichtsbücher und hinter den weißen Wänden der Ausstellungen weiterleben, sondern auch unsere Körper und Seelen bewohnen und so die kulturellen Infrastrukturen im weiteren Sinne beeinflussen.

Nanne Buurman ist seit 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin für documenta- und Ausstellungsstudien im Fachbereich Kunstwissenschaft der Kunsthochschule Kassel. Nach dem Studium der Kunst- und Kulturwissenschaften in Leipzig war sie Promotionsstipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft im internationalen Graduiertenkolleg InterArt an der Freien Universität Berlin, Gastwissenschaftlerin am Goldsmiths College in London und Lehrbeauftragte an Universitäten und Kunsthochschulen in Leipzig, Hildesheim, Bremen und Frankfurt am Main. Buurman forscht und publiziert zu kuratorischen Praktiken, Gender, Arbeit und Globalisierung im Feld der zeitgenössischen Kunst sowie der Geschichte und Gegenwart der documenta. Seit 2020 leitet sie zusammen mit Alexis Joachimides die dis_continuities Forschungsgruppe zur künstlerischen, wissenschaftlichen und kuratorischen Erforschung von NS-Kontinuitäten bei der documenta. Sie ist Mitherausgeberin der Bände documenta. Curating the History of the Present (2017 mit Dorothee Richter) und Situating Global Art. Temporalities – Topologies – Trajectories (2018 mit Sarah Dornhof, Birgit Hopfener, Barbara Lutz) sowie der Webplattform documenta studien, die sie 2018 mit Nora Sternfeld, Carina Herring und Ina Wudtke gründete. Zuletzt erschien der Band Networks of Care. Politiken des (Er)haltens und (Ent)sorgens (2022 mit Anna Schäffler und Friderike Schäfer).


Die Veranstaltung findet im Rahmen der Vortragsreihe Vergiftete Verhältnisse statt.
Ort: Forschungsstation Lutherplatz